Das IDP fördert in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, kurz Ostbelgien, demokratische Kultur in Schule, Jugendarbeit und in der Erwachsenenbildung. In Ostbelgien
soll politische Bildung fächerübergreifend oder -verbindend an den Schulen unterrichtet werden. Dafür sind in den Rahmenplänen viele Themen vorgesehen. Leider gilt das nicht für die musischen Fächer, die in der Sekundarschule fast ganz aus dem Lehrangebot fallen. Die die Verfilmung des Musikstückes Konsensverschiebung des Eupener Komponisten, Wolfgang Delnui, ist eine willkommene Gelegenheit, um ein Format für politische Bildung zu schaffen, das auch an Musikschulen und in der Jugendarbeit genutzt werden kann, ebenso wie in Sprachunterrichten oder im Fach Geschichte an Sekundarschulen.
Das IDP dankt in memoriam dem leider viel zu früh verstorbenen Direktor der AHS, Stephan Boemer. Es war ein Privileg mit ihm zusammengearbeitet zu haben. Sein Interesse an innovativen Formaten für politische Bildung war eine Quelle fruchtbaren Austausches. Der Film ist ihm gewidmet, denn ohne seinen Einsatz und seinen Enthusiasmus wäre es nicht dazugekommen.
Das zeitgenössische Musikstück beschäftigt sich mit den europäischen Werten und politischen Bewegungen, die gegen diese ankämpfen.
Der politische Kampf wird in der Musik, aber auch durch Sprache und mit Gesang symbolisch dargestellt. Xenophobe Sätze von europäischen Politikern werden nach und nach verständlicher und stehen im Kontrast zu Schlüsselworten der Europahymne, die mit Obertontechnik von Wolfgang Saus interpretiert werden.
Aus diesem Spannungsfeld ergeben sich musikalisch und sprachsymbolisch viele Möglichkeiten der politischen Bildung.
Den kompletten Film finden Sie auf unserem YouTube Kanal.
Konsensverschiebungen ist ein Auftragswerk, das vom Kulturministerium der Deutsch- sprachigen Gemeinschaft Belgiens finanziell unterstützt wurde. Anlass waren das Ostbelgienfestival und das Meakusma Festival 2018. Die Komposition wurde am 8. September 2018 uraufgeführt.
In den Jahren vor 2018 beobachtete Wolfgang Delnui, wie die Grenzen dessen, was öffentlich gesagt werden durfte, stetig und systematisch weiter nach rechts verlegt wurde. Die politisch rechtsextremen Kräfte drückten dem öffentlichen Diskurs durch Wortwahl und Inhalte immer stärker ihren Stempel auf. Das Verlegen der Grenzen des Sagbaren wird bewusst eingesetzt, um die öffentliche Meinung, konkrete Politik und das gesellschaftliche Klima dahingehend zu beeinflussen, dass reaktionäre und totalitäre Denk- und Handlungsmustern wieder gesellschaftsfähig werden.
Veränderungen im öffentlichen Diskurs finden schleichend statt. Wer sie nicht aufmerk- sam verfolgt, bemerkt sie kaum. Darin liegt ihre Gefahr für die demokratische Kultur, die einem wachsenden Druck ausgesetzt ist.
Konsensverschiebungen stellt diesen schleichenden Prozess musikalisch dar: zunächst bestimmt der Sänger die Szene. Doch gibt er nach und nach einem Konkurrenten, darge- stellt durch einen Lautsprecher, Raum sich zu äußern. Im Laufe des Stücks erweist sich dieser Lautsprecher jedoch als rechter Agitator. Er äußert sich immer unverhohlener. Obwohl der Sänger durch das Zitieren der Europahymne und durch die Erinnerung an die europäischen Werte versucht, seine dominierende Rolle zu verteidigen, übernimmt der Lautsprecher am Ende das alleinige Kommando. Aus dem vielschichtigen Diskurs setzt sich letztendlich seine Stimme durch!
Der Regisseur Hans-Erich Viet mit seinem Team, bestehend aus dem Kameramann Thomas Keller und Lenka Sikulova, ihres Zeichens 2. Kamerafrau und Tonfrau, filmten das Stück im Oktober 2020 im so- genannten Kühlraum des Alten Schlachthofes, einem Kulturzentrum in Eupen. Die Pandemie verzögerte Schnitt und Fertigstellung aus diversen Gründen.
Es ist verblüffend, wenn ein einzelner Mensch zwei Töne gleichzeitig singt. Obertongesang heisst diese Gesangstechnik. Etwa zwei Oktaven über der normalen Stimme klingt plötzlich ein zweiter flötenartiger Ton, der kristallklar und kaum ortbar im Raum zu schweben scheint. Der Klang erinnert an eine Glasharfe, exotisch und doch merk- würdig vertraut. Er berührt auf eigentümliche Weise, wirkt beruhigend und ist beinahe körperlich spürbar. Er entsteht durch Resonanzen im Mund- und Rachenraum, die Obertonsänger sehr fein zu kontrollieren gelernt haben.
Obertongesang ist eine Gesangstechnik, die den Höreindruck einer Mehrstimmigkeit erzeugt, indem sie durch Kontrolle der Resonanzen im Vokaltrakt einzelne Obertöne aus dem Klangspektrum der Stimme so herausfiltert, dass sie als getrennte Töne wahrgenommen werden.
Nun ist auch ein Arbeitsheft erschienen, das den Film ergänzt. Es wurde von IDP-Leiterin Dr. Tomke Lask, Komponist Wolfgang Delnui, IDP-Referentin Sabrina Kirschner und Obertonsänger Wolfgang Delnui entwickelt.
Es ermuntert Multiplikator*innen, sich der schulischen und außerschulischen politichen Bildungsarbeit mit dem Film auseinanderzusetzen, der ein brandaktuelles Thema aufgreift: die Radikalisierung in der Europäischen Union.
Erste Einblicke in die pädagogische Arbeit mit dem Film hat IDP-Leiterin, Dr. Tomke Lask, bereits während der dritten Speak Up! Tagung gegeben. Zukünftig haben interessierte Multiplikator*innen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit die Möglichkeit, Weiterbildungen zum Film bei uns am Insitut für Demokratie zu buchen.
Das Arbeitsheft können Sie hier runterladen, die entsprechenden Filmsequenzen können Sie hier auf unserem YouTube Kanal einsehen.
Sozialanthropologin
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Sie hat ihr Studium an der Universidade Federal do Rio de Janeiro in Brasilien (Diplom und M.A.) absolviert und wurde 1995 an der Université de Liège, Belgien, in Kunst und Kommunikationswissenschaften promoviert. Sie erhielt einen Post-Doc-Forschungsauftrag an der University of Liverpool, Vereintes Königreich, im Impact Programm des Arts and Humanity Research Council und Economic and Social Research Council (AHRC/ESRC).
Seit 1995 arbeitete sie in EU-Forschungsprojekten, als freie Dozentin in der Lehre und leitete zwischen 1999 und 2007 in Stellvertretung das Laboratoire d’anthropologie de la communication (LAC) an der Université de Liège.
Nach ihrem Post-Doc in Liverpool lehrte sie Informations- und Kommunikationswissenschaften an der Université Libre de Bruxelles. Sie lehrte Anthropologie an verschiedenen europäischen und lateinamerikanischen Universitäten und war Gastprofessorin in Japan an der Keio Universität in Tokyo.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Identitätsprozesse in Grenzräumen und in der Stadt. Sie ist auf Forschungsmethoden spezialisiert, insbesondere Ethnographie und kognitive Karten.
Seit 2017 leitet sie das Institut für Demokratiepädagogik in Eupen und bemüht sich demokratische Kultur im Schulwesen, in der Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung nachhaltig durch angewandte Forschung zu verbessern.
Komponist
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Er studierte Rhythmik am Institut de Rythmique Jaques-Dalcroze de Belgique (Brüssel) sowie Komposition und Schulmusik am Conservatorium Maastricht.
Delnui ist fasziniert durch die Fragilität, die innerhalb eines Klanges entstehen können. Durch das Annähern an die Grenzen des Spiel- und Hörbaren, entsteht aus dem Zusammenspiel zwischen dem Willen des Interpreten und dem „Entstehenlassen“ eine eigene, zerbrechliche und poetische Welt.
2004 gewann Delnui den Flutonicon Kompositionspreis in Utrecht. Sein Werk „Zeithände“ war 2006 für den Gaudeamus Musikpreis nominiert.
Seine Werke wurden in Festivals wie Gaudeamus Muziekweek (Amsterdam), Saint-Petersburg International New Music Festival reMusik, Ostbelgienfestival (Eupen) und Ars Musica (Brüssel) aufgeführt. Delnui ist Mitbegründer von „Kl-Ex“, der ostbelgischen Vereinigung zur Förderung neuer Musik.
Wolfgang Delnui arbeitet auch als Pädagoge. Er unterrichtet an der Musikakademie der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und an der Autonome Hochschule Ostbelgien. Im Rahmen seiner pädagogischen Tätigkeiten veröffentlichter er 2015 das Buch Blitzschnelle Ideen mit Rhythmus und Musik im Ökotopia Verlag.
freiberuflicher Musiker und Stimmklangforscher
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Als Experte für Obertongesang mit den Wurzeln in klassischem Gesang und den Naturwis- senschaften hat er eine besondere Art, die Faszination des Stimmklangs zu vermitteln. Der Klüh-Stiftung-Preisträger und Erfinder einiger Chemie-Patente sang als Solist im Theater, sang in Profichören und widmet sich seit drei Jahrzehnten hauptberuflich den Obertönen und den Resonanzen der Stimme. Er entwickelte Konzepte zur Chorphonetik und Gesangsphonetik, ist Mitentwickler der Klanganalyse-Software Overtone Analyzer / VoceVistaVideo, Fachautor, Gründer des Europa-Obertonchores und unterrichtet weltweit Profichöre, Chorleitende, Operngesangsklassen und natürlich Obertonenthusiast:innen.
Regisseur
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Geboren 1953 in Ostfriesland. Lehre als Chemielaborant, soziale Tätigkeit in England und Nordirland mit Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste, Kraftfahrer, Waldarbeiter, Weihnachtsmann u.a. in Berlin und Kassel. Zweiter Bildungsweg: Studium Politologie, Philosophie, Kunstsoziologie an der FU Berlin, Film an der HdK Berlin, political science an der Queen’s University of Belfast/ Nordirland. Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie/Berlin (dffb) und Diplom-Politologe.
Filmseminare u.a. mit Fred Zinnemann und Wim Wenders, Drehbuchseminare mit Wolfgang Kohlhaase und Syd Field u.a. Schauspieler-Workshops mit John Costopoulos/ Method Acting. Seit 1990 tätig als Regisseur, Autor und Co/Produzent. War Professor für Spielfilmregie an der Internationalen Filmschule Köln (ifs). Gastdozent an der Alice-Salomon-Fachhochschule für Soziales, Berlin. Regie/Drehbuch- und Dokumentarfilm-Seminare an der FH Dortmund, Filmarche Berlin, Filmservice Münster und Medienwerkstatt Hannover Linden. Mitglied der Deutschen Filmakademie/AG dok.
Preise und Nominierungen